Stationen auf dem Weg nach Nürnberg

Автор: Пользователь скрыл имя, 27 Января 2011 в 21:57, реферат

Описание работы

Am 20.11.1945 begann im Nürnberger Justizpalast in der Fürther-Straße 110 im Saal 600 der Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher. 21 ehemals führende Vertreter des "1000-jährigen Reiches" saßen auf der Anklagebank.

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Lidice und andere

Vier Tage lang erklangen im Gerichtssaal Berichte von unvorstellbaren und zahllosen Tötungen in allen von den Deutschen besetzten Gebieten in der Sowjetunion, Polen, Jugoslawien und der Tschechoslowakei. Als sich Smirnow mit der Tschechoslowakei befaßte, berichtete er von der Vernichtung von Lidice, einem Dorf in der Nähe von Prag , einer Greueltat, die damals überall in Europa und den USA bekannt war. Viele Sowjetdörfer, so Smirnow, hätten dasselbe Schicksal wie Lidice erlitten. Er nannte die Zahlen der Toten in mehreren Städten.Waren diese Zahlen überzogen? Waren die Greueltaten erfunden oder übertrieben? Abgesehen vielleicht von Göring ist keiner der Richter, Verteidiger oder sonstigen Beobachter zu der Schlußfolgerung gelangt, daß man der sowjetischen Beweisführung im Grunde nicht trauen könne. Aber selbst Göring mußte gegenüber Dr. Gilbert zugeben, daß "es genügt, wenn nur 5 Prozent all dieser Greuelgeschichten wahr sind". (27) Am 19. Februar wandte sich Smirnow den Massenhinrichtungen in Auschwitz, Majdanek, Chelmno, Treblinka, Sobibor und Belsec zu. Die Glaubwürdigkeit der Beweisführung wurde durch sichergestellte deutsche Fotografien erhöht. Die abgelichteten Szenen stimmten mit dem Inhalt der Beweisdokumente überein. Smirnow schloß diesen Teil der sowjetischen Anklage mit einem Dokumentarfilm über "Die Grausamkeiten der deutsch-faschistischen Eindringlinge" ab. Ausgenommen von Göring, für den dieser Film kein Beweis war, stellten die anderen Angeklagten die Glaubwürdigkeit des Films nicht in Frage. Daran anschließend wurden die Naziplünderungen und die Zerstörung von Eigentum geschildert.

Jüdische Babys in Auschwitz

Am 25. Februar präsentierte Smirnow das Beweismaterial für den Anklagepunkt "Verbrechen gegen die Menschlichkeit". Diese Verbrechen unterschieden sich kaum von den Kriegsverbrechen gegen militärische und zivile Opfer. Als Unterscheidungsmerkmal wurde angegeben, daß sie sich gegen bestimmte nationale oder religiöse Gruppen richteten. Beim Beweismaterial über die Judenverfolgung stützte sich Smirnow weitgehend auf die von den Amerikanern sichergestellten Dokumente über die Einsatzgruppen sowie auf Berichte der sowjetischen und polnischen Regierungen über die Todeslager. Severina Schmaglewskaja, eine Frau die in Auschwitz gewesen war, sagte aus: Neugeborene Babys jüdischer Mütter wurden sofort umgebracht, und bei ihrer Ankunft zur Vernichtung bestimmte Kinder wurden oft in die Verbrennungsöfen geworfen, ohne daß man sie vorher in den Gaskammern erstickte. Andere Kinder wurden mit unbekanntem Ziel weggebracht. "Im Namen aller Frauen, die im Konzentrationslager zu Müttern geworden sind", sagte die Zeugin, "möchte ich heute die Deutschen fragen: "Wo sind diese Kinder?" Dr. Gilbert sah, wie einige Angeklagte und ihre Anwälte den Kopf senkten oder sich auf die Lippen bissen. Dr. Kranzbühler, der Anwalt von Dönitz, fragte seinen Klienten: "Hat denn niemand irgend etwas von diesen Dingen gewußt?" Dönitz schüttelte den Kopf und zuckte die Achseln. "Natürlich, jemand wußte davon", sagte Jodl ruhig. Der Angeklagte Jodl hatte selbstverständlich recht. Wenn niemand von "diesen Dingen" gewußt hätte, dann wären sie auch nicht passiert. (28) 

Die Verteidigung

Am 4.3.1946 kamen die Verteidiger der Angeklagten an die Reihe. In aller Form wurde ihre Seite des Verfahrens vor dem Internationalen Militärgerichtshof eröffnet. Gemäß Artikel 16 und 23 des Londoner Statuts wurden die Verteidiger entweder von den in Haft befindlichen Angeklagten selbst gewählt oder auf deren Verlangen vom Gerichtshof ernannt. In Abwesenheit des Angeklagten Bormann ernannte der Gerichtshof für ihn einen Verteidiger und bestimmte auch Verteidiger zur Vertretung der angeklagten Gruppen und Organisationen. Das Generalsekretariat des Tribunals hatte seit Anfang November 1945 Dokumente und Zeugen, die die Verteidigung haben wollte, ausfindig gemacht und beschafft. Insgesamt legte die Verteidigung dem Gerichtshof 2.700 Dokumente vor.

Die Zuständigkeit des Gerichts wird in Frage gestellt

Gleich zu Prozeßbeginn legten alle Verteidiger eine gemeinsame Petition vor, die die juristischen Grundlagen des Prozesses in Frage stellten. Insbesondere ging es um die Strafbarkeit "der Entfesselung des ungerechten Krieges". Die Verteidigung machte geltend, daß "soweit es sich um Verbrechen gegen den Frieden handelt, ... der gegenwärtige Prozeß keine gesetzliche Grundlage im internationalen Recht (hat), sondern ein Verfahren (ist), das auf einem neuen Strafrecht basiert, einem Strafrecht, das erst nach der Tat geschaffen wurde". (29) Der Vorsitzende Richter des Internationalen Militärgerichtshofs, Sir Geoffrey Lawrence lehnte diesen Antrag mit der Begründung ab, im Kellog-Briand-Pakt von 1928 hätten sich 15 Staaten, darunter auch Deutschland, dafür ausgesprochen, den Krieg als "Werkzeug nationaler Politik" zu ächten und zwischenstaatliche Konflikte nur "durch friedliche Mittel" beizulegen. Allerdings waren zur Einhaltung dieses Paktes keine Zwangsmittel vorgesehen.

Das "tu quoque" Argument

Mehrfach versuchte die Verteidigung in Nürnberg vom "tu quoque" Argument ( d.h. gleiches Maß  für gleichen Tatbestand; der Feind habe sich genauso verhalten) Gebrauch zu machen. Die Richter reagierten darauf mit dem Hinweis, daß das Londoner Statut die Zuständigkeit des Gerichts darauf beschränke, über deutsche Kriegsverbrechen zu urteilen, nicht aber über völkerrechtswidrige Handlungen der Siegermächte.Die Reihenfolge der Verteidigung entsprach der Anklageschrift. Als erster war Görings Verteidiger an der Reihe . Während die Verteidigung Görings 12 Tage in Anspruch nahm, dauerte die der übrigen 20 Angeklagten etwa 4 Tage pro Angeklagter. Insgesamt vergingen darüber 78 Prozeßtage. Außer Heß betraten alle Angeklagten den Zeugenstand. Die Mehrzahl von ihnen gab zu, daß grauenhafte Verbrechen begangen worden waren, behauptete aber, daß sie persönlich in gutem Glauben gehandelt hätten. Die Generale hatten nur Befehle befolgt; die Admirale hatten nichts anderes als andere Admirale getan; die Politiker hatten nur für das Vaterland gearbeitet, und die Finanzleute hatten sich nur mit Geschäften befaßt. (30) Die Fülle der Beweisanträge der Verteidiger richtete sich kaum gegen das der Anklage zugrundeliegende Tatgeschehen. Den Beweisdokumenten der Anklagevertretung wurde nicht widersprochen. Ebensowenig wurde die Prozeßführung angegriffen. Sie wurde als sachlich, korrekt und fair bewertet. Vielmehr wurde immer wieder die Zuständigkeit des Gerichts generell in Frage gestellt.

Zeuge der Verteidigung: Rudolf Höß, Kommandant von Auschwitz

Ein Zeuge, der unverständlicherweise von der Verteidigung und nicht von der Anklagevertretung aufgerufen wurde, war Rudolf Höß, von 1940-43 Lagerkommandant von Auschwitz. Wie kein anderer verbreitete er lähmendes Entsetzen im Gerichtssaal. Hier berichtete ein Massenmörder aus erster Hand. Unter anderem sagte Höß aus: "Im Sommer 1941 wurde ich zum persönlichen Befehlsempfang zum Reichsführer SS, Himmler, nach Berlin befohlen. Dieser sagte mir dem Sinne nach, ich kann das nicht mehr wörtlich wiederholen, der Führer habe die Endlösung der Judenfrage befohlen, wir, die SS, haben diesen Befehl durchzuführen. Wenn jetzt zu diesem Zeitpunkt dies nicht durchgeführt wird, so wird später das jüdische Volk das deutsche vernichten. Er habe Auschwitz deswegen gewählt, weil es bahntechnisch am günstigsten liegt und auch das ausgedehnte Gelände für Absperrmaßnahmen Raum bietet." (31) Höß sprach so ruhig und gefühllos als handelte es sich um ganz selbstverständliche Dinge und nicht darum, Hunderttausende von Menschen in den Tod zu schicken. Höß versuchte Dr. Gilbert seine Sicht der Dinge zu erklären: "Verstehen Sie nicht, wir SS-Leute sollten nicht über diese Dinge nachdenken; es kam uns nie in den Sinn. Und außerdem war es gewissermaßen eine Selbstverständlichkeit geworden, daß die Juden an allem Schuld hatten. ... Es stand nicht nur in den Zeitungen wie dem "Stürmer", sondern wir hörten es überall. Selbst bei unserer militärischen und ideologischen Ausbildung wurde als selbstverständlich vorausgesetzt, daß wir Deutschland vor den Juden zu schützen hätten. ... Wir waren alle darauf gedrillt, Befehle auszuführen, ohne darüber nachzudenken. Der Gedanke, einen Befehl nicht auszuführen, kam einfach niemandem." (32) Höß Aussage war für die Angeklagten und ihre Verteidiger niederschmetternd.

Die Schlußplädoyers der Verteidigung und der Anklage

Fast der ganze Juli 1946 verging über den Schlußplädoyers der Verteidigung (16 Prozeßtage) und der Anklagebehörde (3 Tage). Inhaltlich kam nichts mehr neues zu Tage. Die Verteidiger bestritten erneut die Rechtsgültigkeit der in der Londoner Charta aufgeführten "Verbrechen gegen den Frieden". Gegen die ersten sieben Angeklagten - Göring, Heß, Ribbentrop, Keitel, Kaltenbrunner, Rosenberg und Frank - lag so vernichtendes Beweismaterial vor, daß eine Verurteilung und schwere Strafen zu erwarten waren. Bei den restlichen sei der Ausgang, so Telford Taylor, ungewiss gewesen. Die Verteidiger von Streicher, Funk und Schacht forderten denn auch jeweils Freispruch für ihre Mandanten.Robert Jackson, der am 26.7.1946 das Schlußplädoyer für die amerikanische Anklagevertretung hielt, sagte :"Wenn wir nur die Erzählungen der vorderen Reihe der Angeklagten zusammenstellen, so bekommen wir folgendes lächerliche Gesamtbild von Hitlers Regierung; sie setzte sich zusammen aus: Einem Mann Nummer 2, der nichts von den Ausschreitungen der von ihm selbst eingerichteten Gestapo wußte, und nie etwas vermutete von dem Ausrottungsprogramm gegen die Juden, obwohl er der Unterzeichner von über 20 Erlassen war, die die Verfolgung dieser Rasse ins Werk setzten. Einen Mann Nummer 3, der nur ein unschuldiger Mittelsmann war, der Hitlers Befehle weitergab, ohne sie überhaupt zu lesen, wie ein Briefträger oder ein Botenjunge. Einem Außenminister, der von auswärtigen Angelegenheiten wenig und von der auswärtigen Politik gar nichts wußte. Einem Feldmarschall, der der Wehrmacht Befehle erteilte, jedoch keine Ahnung hatte, zu welchen praktischen Ergebnissen diese führen würden. Einem Chef des Sicherheitswesens, der unter dem Eindruck war, daß die polizeiliche Tätigkeit seiner Gestapo und seines SD im wesentlichen derjenigen der Verkehrspolizei gleichkam. Einem Parteiphilosophen, der an historischen Forschungen interessiert war und keinerlei Vorstellung von den Gewalttaten hatte, zu denen im 20. Jahrhundert seine Philosophie anspornte. Einem Generalgouverneur von Polen, der regierte, aber nicht herrschte. Einem Gauleiter von Franken, der sich damit beschäftigte, unflätige Schriften über die Juden herauszugeben, der jedoch keine Ahnung hatte, daß sie irgend jemand jemals lesen würde. Einem Innenminister, der nicht wußte, was im Innern seines eigenen Amtes vor sich ging, noch viel weniger etwas wußte von seinem eigenen Ressort und nichts von den Zuständen im Innern Deutschlands. Einem Reichsbankpräsidenten, der nicht wußte, was in den Stahlkammern seiner Bank hinterlegt und was aus ihnen herausgeschafft wurde. Und einem Bevollmächtigten für die Kriegswirtschaft, der geheim die ganze Wirtschaft für Rüstungszwecke leitete, jedoch keine Ahnung hatte, daß dies irgend etwas mit Krieg zu tun hätte. ... Angesichts dieses Hintergrundes verlangen diese Angeklagten heute von diesem Gerichtshof, sie für nichtschuldig zu erklären an der Planung, Ausführung oder Verschwörung zur Begehung dieser langen Liste von Verbrechen und Unrecht. ... Wenn Sie von diesen Männern sagen sollten, daß sie nicht schuldig seien, so wäre es ebenso wahr zu sagen, daß es keinen Krieg gegeben habe, daß niemand erschlagen und kein Verbrechen begangen worden sei." (33) Auf Jacksons Plädoyer folgte das Plädoyer des britischen Hauptanklägers, der in seiner Rede unmißverständlich zu verstehen gab, daß jeder der Angeklagten ein Mörder sei. Die französische und die sowjetische Anklage forderte ausdrücklich die Todesstrafe für alle Angeklagten. Shawcross, der Brite, betonte wiederholt die Legitimität einer solchen Entscheidung, hoffte aber, daß unterschiedliche Urteile gefällt würden. Jackson gab keine klare Empfehlung ab.

Die angeklagten Gruppen und Organisationen

Am 30. Juli 1946 begann der Internationale Militärgerichtshof in Nürnberg das Beweismaterial gegen die nach Artikel 9 der Londoner Charta angeklagten Gruppen und Organisationen anzuhören und entgegenzunehmen. Angeklagt waren das Reichskabinett, das Führerkorps der NSDAP, SS und SD, SA, Gestapo und Generalstab und Oberkommando der Wehrmacht. Diese Art der Anklage ( auf Gruppen und Organisationen bezogen) war etwas ganz neues, und ging auf einen Vorschlag des amerikanischen Obersten Murray Bernays aus dem Jahre 1944 zurück. (34) In den vergangenen Monaten waren beim Gericht eine Unmenge von Briefen, eidesstattlichen Versicherungen und Anträgen zugunsten der Organisationen eingegangn. Allein die SS Angehörigen schickten 136 000 Affidavits (eidesstattliche Versicherungen). Vom Gericht bevollmächtigte Untersuchungsrichter vernahmen 101 Zeugen, aus denen dann diejenigen ausgewählt wurden, die vor dem Gerichtshof aussagen sollten. Im Hinblick auf das Führerkorps der NSDAP machte die Verteidigung geltend, daß die meisten der Politischen Leiter, rund 600 000 Parteimitglieder, nichts von den Verbrechen der Partei gewußt hätten oder nicht in sie verwickelt gewesen waren. (35) Aus dem Beweismaterial gegen SS, SD und Gestapo ging klar hervor, daß viele Tausende ihrer Mitglieder von grauenvollen Kriegsverbrechen gewußt hatten und darin verstrickt gewesen waren. Die Verteidigung bestritt jedoch, daß dies pauschal für alle Angehörigen dieser Gruppen galt. Hinsichtlich des Generalstabs und des Oberkommandos der Wehrmacht konzentrierte sich die Verteidigung darauf, daß dieses keine einheitlichen Gruppen gewesen waren und deshalb die Anklage als solche nicht gerechtfertigt sei. Das gleiche Argument wurde in Bezug auf das Reichskabinett angeführt. Die SA, die Sturmabteilung der NSDAP, habe nach dem "Röhm-Putsch" von 1934 an Prestige und Bedeutung verloren. Nachdem die Schlußplädoyers der Verteidiger der angeklagten Gruppen und Organisationen am 28. August 1946 abgeschlossen waren, kamen die Anklagevertreter mit ihren Schlußplädoyers an die Reihe. Tom Dodd, der das Plädoyer für die amerikanische Seite hielt, hob die Bedeutung der Klage gegen die Organisationen vor: "Dadurch, daß diese Organisationen für verbrecherisch erklärt werden, wird dieser Gerichtshof nicht nur an das deutsche Volk, sondern an die Völker der ganzen Welt eine Warnung aussprechen. Die Menschheit soll wissen: Verbrechen bleiben nicht straflos, weil sie im Namen einer politischen Partei oder eines Staates begangen worden sind, über Verbrechen wird nicht hinweggesehen, weil sie zu umfangreich sind; Verbrecher werden nicht straflos davonkommen, weil ihrer zu viele sind." (36).

    Die Schlußworte der Angeklagten

Das letzte Wort hatten die Angeklagten. So bestimmte es das Statut des Internationalen Militärgerichtshofs. Am 31. August erhalten deshalb alle 21 Angeklagten im Gerichtssaal noch einmal Gelegenheit, ans Mikrophon zu treten und in eigener Sache zu sprechen. Fast fünfzig Druckseiten des Gerichtsprotokolls nehmen diese Schlußworte ein. (37) Damit war die Beweisaufnahme im Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozeß beendet. Der Gerichtshof vertagte sich bis zur Urteilsverkündung.

    Die Nürnberger "Prozeß-Gemeinde"

Die Nürnberger "Prozeß-Gemeinde" war sehr heterogen. Sie war von der einheimischen Bevölkerung getrennt. Da Nürnberg in der amerikanischen Besatzungszone lag, war die amerikanische Militärregierung für die nötige Infrastruktur verantwortlich. Sie beseitigte die Kriegsschäden am Prozeßgebäude, hatte die Angeklagten und die Zeugen nach Nürnberg gebracht und stellte das Wachpersonal im Gefängnis und im Gerichtssaal zur Verfügung. Ihr oblag die Ausstattung der Prozeßmitarbeiter und der Pressevertreter mit den notwendigen Vervielfältigungs-, Aufzeichnungs- und Telefongeräten und -einrichtungen. Aus ihren Reihen kam ein Großteil des Verwaltungs- und Büropersonals. Sie beschaffte und verteilte Nahrung und Getränke, Heizmaterial und sonstige Dienstleistungen für die Gemeinde. Sie unterhielt einen PX-Laden und stellte den Wagenpark und die Fahrer zur Verfügung. Ferner oblag ihr die Bereitstellung der Unterkünfte. Die Mitglieder der französischen und der englischen Delegation wohnten vor allem in Zirndorf. Die US-Quartiere lagen schon wegen der Größe der Delegation - sie war um ein Vielfaches größer als die der anderen Nationen - über ganz Nürnberg verstreut. Robert Jackson und seine engsten Mitarbeiter waren in Dambach untergebracht. Mittelpunkt des gesellschaftlichen Lebens war das Grand Hotel am Nürnberger Hauptbahnhof. Während die sowjetische, englische und französische Delegation in sich homogen waren, gehörten zur amerikanischen auch Nichtamerikaner, z.B. Deutsche wie Robert Kempner. Das internationale Spektrum der Prozeß-Gemeinde wurde noch verstärkt durch kleine Delegationen aus den ehemals von den Nationalsozialisten besetzten Ländern Polen, Jugoslawien, Tschechoslowakei, Dänemark, Norwegen, Niederlande und Griechenland. Die ersten drei arbeiteten eng mit der sowjetischen, die anderen mit der britischen Delegation zusammen. Sie fungierten als Beobachter und als Quelle für zusätzliches Beweismaterial.(38)

Die Presse in Nürnberg

Die Pressevertreter, die über den Nürnberger Prozeß berichteten waren südwestlich von Nürnberg , in Stein, in der Faber-Castellschen Bleistiftfabrik untergebracht. Die Reporter und Kommentatoren kamen aus über zwanzig Nationen: rund achtzig aus den USA, fünfzig aus England, vierzig aus Frankreich, fünfunddreißig aus der Sowjetunion, zwanzig aus Polen und ein Dutzend aus der Tschechoslowakei. Im Gerichtssaal waren 240 Plätze für die Presse reserviert und in einem großen Presseraum konnte das Verfahren auch über Lautsprecher verfolgt werden. Im Justizpalast waren die Nachrichtenagenturen RCA, Mackey, press Wireless und Tass untergebracht, und Fernschreiber wurden zur Nachrichtenübermittlung nach London und Paris installiert. Das Pressekorps behielt natürlich im Laufe des Prozesses nicht seine anfängliche Stärke bei. Sobald sich immer deutlicher herausstellte, daß die Verhandlungen noch mindestens mehrere Monate weitergehen würden, reisten viele Reporter ab. Wenn es aber etwas besonders Berichtenswertes gab, war der Andrang wieder groß. Das war der Fall bei den Eröffnungsreden der Ankläger, bei der Zeugenvernehmung von General Paulus, bei den Schlußworten der Angeklagten.(39)

Das Urteil

In völliger Abgeschiedenheit arbeiteten die Richter der vier Nationen am Urteil und seiner Begründung. Selbst die Telefonleitungen zu den Beratungszimmern waren für diese Wochen abgeschaltet. Sicherheitsoffiziere überwachten die Zugänge, durchsuchten die Papierkörbe, beseitigten jede Spur, aus der ein Außenstehender vorzeitige Schlüsse auf den Ausgang der Beratung ziehen konnte. Während die Briten, Franzosen und Sowjets selbständig arbeiteten, hatten sich die amerikanischen Richter qualifizierte Juristen aus den USA als Berater kommen lassen.

Die Richter

Der Internationale Militärgerichtshof in Nürnberg setzte sich aus je zwei Vertretern der vier alliierten Mächte zusammen: Für Großbritannien waren das Lordrichter Geoffrey Lawrence (Vorsitzender) und sein Stellvertreter Richter Birkett. Für die USA: Francis Biddle und als Stellvertreter Richter John J. Parker. Für Frankreich: Professor Donnedieu de Vabres, als Stellvertreter Appelationsgerichtsrat R. Falco. Für die Sowjetunion: Generalmajor I.T. Nikitchenko, als Stellvertreter Oberstleutnant A.F. Wolchkow.Gestützt auf die Aufzeichnungen des amerikanischen Richters Francis A. Biddle und seines englischen Kollegen Sir Norman Birkett hat der amerikanische Historiker Bradley F. Smith in seinem 1977 erschienenen Buch "Der Jahrhundert-Prozeß" die Legende zerstört, das Gericht sei in allen wesentlichen Punkten den Vorstellungen der Anklage gefolgt. Bevor es zu den Urteilssprüchen kam , konnten alle acht Richter in zwei Beratungsperioden ihre Meinung äußern. In der abschließenden Beratung zählten nur die Stimmen der vier ordentlichen Mitglieder des Gerichts. Für eine Verurteilung war eine Mehrheit von drei Stimmen erforderlich. Die Richter verhandelten die Urteile in der Reihenfolge der Anklageschrift; nur die Fälle ,die sich als schwer zu entscheiden erwiesen hatten, wurden für zuletzt aufgespart. Das waren einmal die möglichen Freisprüche (Papen, Schacht und Fritzsche), zum anderen die strittigen Fälle Schirach, Bormann, Raeder, Dönitz, Speer und von Neurath. Der französische Vertreter Donnedieu de Vabres formulierte fast immer das mildeste Urteil, wollte aber keine Freisprüche. Nikitschenko forderte für alle die Todesstrafe. (40)

Die Urteilsverkündung

Am 30.September und 1.Oktober 1946 fand im vollbesetzten Saal 600 die Urteilsverkündung statt. Am Anfang erklärten die Richter über ihre Zuständigkeit, die von der Verteidigung immer wieder bestritten wurde und über die die Meinungen der Völkerrechtler bis heute auseinandergehen: "Dem Gerichtshof ist die Vollmacht verliehen worden, alle Personen abzuurteilen, die Verbrechen gegen den Frieden, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit nach den im Statut festgelegten Begriffsbestimmungen begangen haben". Die Täter solcher Verbrechen waren persönlich verantwortlich. Ferner wurde die Zuständigkeit aus der "bedingungslosen Kapitulation Deutschlands" hergeleitet.Der Hauptteil des Urteils - es umfaßt insgesamt 197 Seiten im Gerichtsprotokoll - bezog sich auf Punkt 1 der Anklage: Verschwörung zur Planung und Führung von Angriffskriegen. Es wurde die Geschichte der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten, die Konsolidierung ihrer Macht im "Dritten Reich" und die Vorbereitungen für die deutschen Eroberungen durch Waffengewalt geschildert. Das Urteil folgte in seiner Darstellung den Eroberungszügen, stützte sich dabei auf erbeutete deutsche diplomatische und militärische Dokumente und kam zu dem Resultat, daß "einige der Angeklagten Angriffskriege gegen 12 Nationen geplant hatten und durchführten und daher dieses Verbrechens schuldig zu erachten seien". (41). Der Gerichtshof bezeichnete das Beweismaterial zu Teil 3 und 4 der Anklage - Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit - im Hinblick auf die Grausamkeiten als "überwältigend in seinen Ausmaßen und seinen Einzelheiten". Die Richter erklärten die Grausamkeiten als "das Ergebnis von kalten und verbrecherischen Überlegungen", die unter den "Begriff des totalen Krieges" fielen. (42)

Zu den grundsätzlichen Rechtsfragen des Verfahrens

Anschließend behandelte der Gerichtshof die grundsätzlichen Rechtsfragen des Verfahrens. Unter anderem ging es um den Antrag der Verteidigung , den Anklagepunkt des Angriffskrieges fallen zu lassen, weil "zur Zeit, als die angeblichen verbrecherischen Handlungen begangen wurden, keine souveräne Macht Angriffskriege als Verbrechen ansah" und "daß kein Verbrechen ohne ein bereits vorher in Kraft befindliches Strafgesetz bestraft werden kann", nulla poena sine lege. Dieser Einwand wurde vom Gericht mit der Begründung abgelehnt, daß Angriffskriege mindestens seit dem Abkommen von Paris im Jahre 1928, dem Kellog-Briand-Pakt, als Verbrechen im Sinne des Völkerrechts anzusehen seien. (43) Außerdem wies das Gericht den Einwand der Verteidigung, daß sich Völkerrecht nur mit den Handlungen souveräner Staaten befasse und keine Bestrafung von Einzelpersonen vorsehe, zurück. "Verbrechen gegen das Völkerrecht", sagt das Urteil, "werden von Personen begangen, nicht von abstrakten Einheiten, und nur durch Bestrafung von Einzelpersonen ... kann ... internationales Recht durchgesetzt werden." Ferner wies das Urteil das Vorbringen der Verteidigung zurück, daß die Angeklagten unter Hitlers Befehlsgewalt gehandelt hätten und daher nicht für ihre Handlungen verantwortlich seien: "Daß ein Soldat den Befehl erhalten hat, unter Verletzung des Völkerrechts zu töten oder zu martern, ist niemals als ein Entschuldigungsgrund für solche brutalen Handlungen anerkannt worden, wenn auch ... der Befehl als mildender Umstand bei der Bestrafung berücksichtigt werden kann. Der wirkliche Prüfstein ... ist nicht das Bestehen eines solchen Befehls, sondern die Frage, ob eine den Sittengesetzen entsprechende Wahl tatsächlich möglich war". (44)

Zum Begriff der Verschwörung

Den Begriff der Verschwörung, der der Kernpunkt der amerikanischen Anklage war, ließ das Gericht nur in einem eng umgrenzten Rahmen gelten, ein Gesichtspunkt, der besonders bei der Entscheidung über die Schuld oder Unschuld der einzelnen Angeklagten wichtig wurde. Die Verschwörung müßte mit ihrem verbrecherischen Zweck klar ersichtlich sein. Sie dürfe nicht zu weit vom Zeitpunkt der Entscheidung und Handlung entfernt sein." Das Gericht entschied jedoch, daß "das Beweismaterial den gemeinsamen Plan einzelner Angeklagter erwiesen habe" und wies das Argument der Verteidigung zurück, daß "ein gemeinsamer Plan in einer totalen Diktatur nicht bestehen könne". Es erklärte: "Hitler konnte keinen Angriffskrieg allein führen. Er benötigte die Mitarbeit von Staatsmännern, militärischen Führern, Diplomaten und Geschäftsleuten. Wenn diese seine Ziele kannten und ihre Mitarbeit zur Verfügung stellten, machten sie sich zu Teilnehmern an dem von ihm ins Leben gerufenen Plan. Wenn sie wußten, was sie taten, so können sie nicht als unschuldig erachtet werden, weil Hitler sie benutzte." (45)Greueltaten, die vor dem Kriege von den Nationalsozialisten begangen wurden, wie furchtbar sie auch sein mochten - die Verfolgung der Juden, der Zigeuner und anderer - wurden nach der Sprache des Londoner Statuts als außerhalb der juristischen Zuständigkeit des Internationalen Militärgerichtshofes erklärt und deshalb nicht geahndet.Das Führerkorps der NSDAP, SS, SD und Gestapo wurden als verbrecherische Organisationen für diejenigen erklärt, die nach dem 1. September 1939 (Kriegsbeginn) Mitglieder geworden waren oder blieben. Niemand sollte wegen Mitgliedschaft verurteilt werden, wenn er nicht entweder "Kenntnis von den verbrecherischen Zwecken oder Handlungen der Organisation" hatte oder "persönlich in die Ausführung verbrecherischer Akte verwickelt war. Mitgliedschaft allein ist nicht ausreichend, um in den Rahmen dieser Feststellungen zu fallen." (46). Das Gericht lehnte es ab, die SA, das Reichskabinett sowie Generalstab und Oberkommando der Wehrmacht zu verbrecherischen Gruppen oder Organisationen zu erklären.

Schuld oder Unschuld der einzelnen Angeklagten

Der Schlußabschnitt des Urteils befaßte sich mit der Schuld oder Unschuld der einzelnen Angeklagten. Zuerst wurden die Schuldsprüche mit der Begründung verlesen. Jeder der Angeklagten erfuhr, nach welchen Punkten der Anklageschrift er schuldig oder nicht schuldig befunden wurde. Danach, am Nachmittag des 1. Oktober 1946 wurden die Verurteilten noch einmal, und diesmal jeder für sich allein, in den Saal geführt, um die Bekanntgabe des Strafmaßes zu hören. Die meisten Angeklagten nahmen die Schuldsprüche mit äußerer Unbeweglichkeit entgegen. Fritzsche, Papen und Schacht, die Freigesprochenen und schon Freigelassenen zeigten die beste Laune, lachten und rauchten genießerisch. Von allen Seiten prasselten die Fragen der Journalisten der ganzen Welt auf sie nieder. Zwölf Angeklagte wurden zum Tode durch den Strang verurteilt: Göring, Ribbentrop, Keitel, Kaltenbrunner, Rosenberg, Frick, Frank, Streicher, Sauckel, Jodl, Seyss-Inquart, und Martin Bormann in Abwesenheit. Heß, Funk und Raeder wurden zu lebenslänglichem Gefängnis, Schirach und Speer zu zwanzig Jahren, Neurath zu fünfzehn und Dönitz zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt. Nach Dr. Gilbert, dem Gerichtspsychologen konnte sich Sauckel am schlechtesten mit dem Todesurteil abfinden. Er bestürmte Friseur, Gefängnisarzt und Psychologen mit dem Hinweis, daß alles zweifellos nur einem Übersetzungsfehler zuzuschreiben sei. Er war fest überzeugt, daß man den Irrtum noch entdecken und das Urteil revidieren würde.Das sowjetische Mitglied des Gerichtshofes, General Nikitschenko, war mit dem Freispruch von Schacht, Papen und Fritzsche und mit der Entscheidung, das Reichskabinett und den Generalstab als nicht verbrecherische Organisationen zu erklären, nicht einverstanden. Außerdem war Nikitschenko der Meinung, daß Heß zum Tode hätte verurteilt werden müssen. Die "Abweichende Meinung des Sowjetischen Mitglieds des Internationalen Militätgerichtshofes" wurde im Prozeßprotokoll anschließend an das Urteil abgedruckt. (Tabelle der Urteilssprüche siehe umseitig (47)).Es können aus Platzgründen nicht alle Schuldsprüche und Urteilsbegründungen für die 21 Angeklagten zitiert werden. Exemplarisch wurden Keitel (48), Streicher(49), Funk (50) und Schacht(51) ausgewählt (siehe Dokument D im Anhang).

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